Ab etwa dem letzten Drittel des Konzerts gab es die gelockte Tänzerin neben mir auf, sich ekstatisch zuckend zu jedem auf der Bühne vorgetragenen Song zu bewegen. Vielleicht hatte sie sich müde getanzt. Vielleicht hatte sie es selbst bemerkt, dass die meisten Songs einfach eher zum schwelgenden Mitwippen einluden, statt zum wilden Herumhopsen. Eine dritte Vermutung wäre, dass sie sich ganz zur Bühne vorgekämpft hat, um den Rotwein genießenden The-National-Frontmann Matt Berninger aus der Nähe zu betrachten, wie er verloren auf der Bühne herumtigerte und sich mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck in einen wahren Melancholie-Rausch sang.
The National in der ausverkauften Berliner Max-Schmeling-Halle zu erleben ist schon mal eine Hausnummer, waren die New Yorker doch bei vorherigen Gigs in der Hauptstadt doch eher in kleineren Locations anzutreffen gewesen. Der Erfolg der vor allem letzten beiden Alben High Violet und Trouble Will Find Me zog jedoch nochmal eine viel größere, konzertwillige Fan-Schar zu der Band.
Gleich vom ersten Song an („I Should Live In Salt“) ziehen The National ihr Publikum in den Bann. Eine gigantische Lichtshow begleitet den Bombast-Sound der Band. Im Hintergrund werden außerdem Video-Aufnahmen der Gruppe und zu den Songs passende LED-Visuals kredenzt. So bekommen wir bei „England“ Regentropfen, die gegen eine Fensterscheibe tropfen, präsentiert, bis diese zum Ende des Liedes in tausend kleine Scherben zerspringt. Diese symbolische Zerbrechlichkeit, die ein typisches Markenzeichen der Musik von The National ist, transportiert die Band auch bei ihren Live-Auftritten – „it takes an ocean not to break“ („Terrible Love“). Er leidet bei jedem seiner Songs, der gute Matt Berninger, mit jeder Faser seines Körpers. Er singt, säuselt und schreit sich durch ein beachtliches Song-Repertoire der Band. Neuer Pathos („I Need My Girl“, „Deamons“) trifft auf alt-bekannte Schmacht-Songs („Fake Empire, „Lucky You“).
Gerade in den ruhigeren Momenten stellt sich das ein oder andere Härchen auf, wenn Matt Berninger begleitet von harmonischen Bläsern mit seinem Sound zu verschmelzen scheint. Man muss ihn nicht verstehen, analysieren oder interpretieren, diesen ganz und gar eigenwilligen Stil des Frontmanns, wenn er hektisch auf der Bühne umhertigert, seine Flasche Rotwein in die Luft schleudert oder seinen Mikrofonständer umwirft. Er lebt seine Musik, geht in ihr auf und singt sich in einen ekstatischen Taumel. Und wirkt dabei so authentisch echt leidend, wie man es nur selten bei einem Musiker erlebt.
Die New Yorker leihern mitnichten (wie es ihnen einige Kritiker im Nachhinein bescheinigten) einfach nur Ihre Songs herunter, sondern erschaffen eine magische, pathetisch-melancholische Atmosphäre, die in manchen Augenblicken schon fast weh tut. Man leidet mit, doch sie fühlt sich schön und energetisch an, diese allumfassende Sound-Theatralik. Und so verlässt man dieses besondere Konzerterlebnis in der nieselnden Berliner Novembernacht mit dem Gedanken: The National, Baby, you left me sad and high.
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