Ein typisches Bild im Alltag: Man besteigt ein beliebiges öffentliches Verkehrsmittel und sieht ziemlich viele Ohren der Mitreisenden, die mit Kopfhörern bestückt sind. Mit kleinen Stöpseln in den Ohren oder großen Modellen auf dem Kopf wollen die Reisenden die Alltagsgeräusche ausblenden und sich in ihre eigene Gedanken- und Klangwelt zurückziehen.
Auch ich gehöre zu diesen Menschen, die den Luxus der heutzutage fast unsichtbaren, tragbaren Musikbibliothek nicht mehr missen möchten.
Musik zum Mitnehmen wurde spätestens in meiner Teenagerzeit ein immer wichtigeres Thema für mich. Die Ausführung gestaltete sich jedoch nicht immer so einfach. So wusste ich beispielsweise nie so recht, wo ich denn nun meinen geliebten Walkman während des Fahrradfahrens hinpacken sollte. Könnt ihr euch noch an dieses aus heutiger Sicht ziemlich groß-klobige Gerät erinnern?
Manchmal kam der Walkman dann notgedrungen hinten in den Rucksack hinein. Manchmal habe ich ihn mit der am Gerät angebrachten Halterung versucht mehr schlecht als recht an meinem Jeansbund zu befestigen. Das sah oft nicht nur ziemlich bescheiden aus so mit Beule unter dem Pulli, sondern hielt meist auch nur leidlich. Weiterer Minuspunkt: Die Kassetten mussten umgedreht oder gewechselt werden und irgendwie hatte ich immer das Glück, dass nach mühevoller Verstauung im Rucksack oder des Festklippens am Hosenbund die Kassette nach einem Song zu Ende war, was eine Wiederholung der ganzen Prozedur zur Folge hatte.
Dann kam der Discman in mein Leben. Von nun an konnte ich neu erworbene CDs direkt nach dem Kauf unterwegs anhören ohne die Musik vorher auf eine Kassette überspielen zu müssen. Der große Nachteil meines neuen Spielgefährten war allerdings, dass der doch sehr sensibel reagierte, wenn es unterwegs holprig wurde. Dann nämlich reagierten die Silberscheiben entweder gar nicht mehr oder sie „stotterten“ nur noch traurig vor sich hin.
Trotzdem hatte ich schon damals so oft es eben ging den portablen Musikplayer bei mir. Das hat sich bis zum heutigen Tag nicht geändert, wobei die technischen Gegebenheiten heute natürlich noch mehr Hör-Freude bereiten.
Nun geschah es jedoch eines Morgens, dass ich meinen mp3-Player zu Hause vergessen hatte. Panisch kramte ich in der Bahn sitzend meine Tasche durch, nur um schließlich ernüchtert festzustellen, dass ich die Fahrt ohne musikalische Berieselung überstehen musste. Schon komisch, wie man glaubt, ohne bestimmte Gegebenheiten nicht mehr leben zu können. Der mp3-Player war nicht da und mein Tag schien schon am Morgen gelaufen zu sein.
Dafür wurde ich nun Zeuge einiger interessanter Gespräche. Ich lauschte den Tönen der Berliner S-Bahn, deren Warnsignale ich bei meinen ersten Besuchen in Berlin immer als den Sound der Hauptstadt empfunden hatte. Ich schaute mich um und versuchte mir vorzustellen, welche Art von Musik wohl gerade aus den jeweiligen Kopfhörern in die Ohrmuscheln meiner Mitreisenden drang. Ich fragte mich, ob der Rückzug in die eigene Musikwelt die soziale Isolation begünstigte und wunderte mich über die ganzen Geräusche, die ich schon so lange nicht mehr bewusst wahrgenommen hatte. Ich überlegte, warum mir und anderen Menschen die alltäglichen Klänge so unerwünscht waren, dass wir es vorzogen sie mit Musikbeschallung auszublenden. Vielleicht, weil das morgendliche Musikhören in gewissem Sinne die Realität noch ein wenig länger verdrängt und uns am Abend abschalten lässt. Vielleicht aber auch einfach, weil Musik nun mal bewiesenermaßen glücklich macht und es sogar mit Antidepressiva aufnehmen kann.
Ich mag musikalische Beschallung beim Aufstehen, Frühstücken, während der Bahnfahrt und beim Joggen. Und ja, ich reagiere leicht panisch, wenn mir die mechanische iPod-Stimme mitteilt, dass mein Akku bald alle sein wird. Mein aktuelles Lieblingsalbum von Vampire Weekend oder die neue Single der Babyshambles geben mir Kraft für den Tag oder packen mich in Watte, wenn ich einen schlechten Tag hatte. Sie vermitteln mir, dass sie jetzt gerade in diesem Moment nur für mich singen (ich weiß, gewaltige Ego-Issues ;-)). Und das macht mich glücklich und lässt die Endorphine in meinem Blutkreislauf Blasen schlagen. Der Sucht-Faktor ist also definitiv gegeben. Meinen mp3-Player habe ich seit jenem Tag übrigens bisher nicht mehr vergessen, auch wenn es mal wieder ganz interessant war, auch mal den üblichen Alltagsgeräuschen Gehör zu schenken. Nun muss ich nur noch herausfinden, wie ich das ständige, unnötige sich ineinander Verknoten meiner Kopfhörer in der Handtasche verhindern kann.
Foto: humortrain.org